Gothic

Die Geschichte der schwarzen Szene


Alles begann mit Musik. In Deutschland waren es Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre unter anderem Robert Smith und Siouxsie Sioux, Depeche Mode oder Anne Clark, die Düsternis ins Reich der Töne brachten. Kalte Klänge, schwarze Klamotten, dunkle Schminke, verwischter Lippenstift, toupierte Haare. Dazu gab es teils skurrile Texte voller Melancholie und Schrecken. Die vermeintlich heile Welt, die man bis dato auf der Bühne und im Alltag darstellte, wurde ins Gegenteil verkehrt. Im Post-Punk und im New Wave regierten Kälte, Minimalismus, Weltschmerz, Dunkelheit und Bedrohung.


Eine Wohltat für viele Jugendliche, die sich damals mit ihren Gefühlen in dieser Musik wiederfanden. Es tobte ein kalter Krieg zwischen den Großmächten, die Umweltzerstörung war ein großes Thema und in den Nachrichten sprach man offiziell von einem drohenden Atomkrieg. Nicht alle, die sich damals in dunklen Kellern zu gruftiger Musik bewegten, hatten bewusst eine Ideologie oder offene Rebellion im Sinn. Viele Jugendliche wollten auch einfach nur anders sein oder es ihren musikalischen Idolen nachmachen. Für andere war die Szene ein stiller, trauriger, schwarzer Protest. Der Ursprung der Schwarzen Szene lag zwar im englischen Post-Punk, in Deutschland fand die Subkultur aber erst Anfang der 80er Jahre zusammen. Und das sowohl in der BRD als auch in der DDR. In der DDR wurden die sogenannten Ghouls oder Darks scharf von der Staatssicherheit beobachtet. Trotzdem war Robert Smith von The Cure auch im Arbeiter- und Bauernstaat für die schwarze Subkultur ein stilistischer und musikalischer Held, dessen Outfit man nachmachen wollte.


Düstere Outfits waren das direkte Gegenteil der bunten Mode der 80er Jahre und somit auch Ausdruck einer Gegenkultur, die die allgegenwärtigen Neonfarben ablehnte. Passend zu den blass geschminkten Gesichtern und dem dunklen Kajalstrich gab es Firmen wie Bogey`s, die in den Jugendzeitschriften mit düsterer Mode warben.


Pumphosen, spitze Schuhe, weite Oberteile für die Waver, Rüschenhemden, Glitzer und Seide für die New Romantics, die mit dem Verwischen der Geschlechter spielten, und Künstlern wie Visage oder Boy George von Culture Club nacheiferten. Schon damals bestand die Subkultur aus verschiedenen Strömungen wie den leichenblassen Gruftis in wallendem Schwarz, den kühlen Wavern, den New Romantics in melancholischem Bunt und den EBMlern im kämpferischen Outfit, deren Bands Einflüsse der lärmenden Industrial Musik aufnahmen.


Weil man in DDR all das nicht kaufen konnte, wurde man hier erfinderisch. So mussten Priesterkleidung und vor allem die schwarzen Schiedsrichterhemden herhalten, um nach engagierter Handarbeit als schwarzes Outfit zu dienen.


Anregungen für Outfits und Styling holte man sich unter anderem aus der Schauerliteratur. Düster, mysteriös, alt, bedrückend, erschreckend: Das waren die Merkmale der sogenannten Gothic Literatur des späten 18. Jahrhunderts in England. Ein passender Begriff, fand die Musikpresse, und erfand irgendwann den Begriff Gothic Rock, aus dem sich die Bezeichnung Gothic Szene ableitete. Auch Filme, Serien und Comics prägten das Bild der Schwarzen Szene.


Der Gesellschaft machten die skurrilen Jugendlichen natürlich Angst. Sie führten den Menschen den Tod und das Böse vor Augen, stellten gesellschaftliche Normen auf den Kopf, brachen Tabus und provozierten mit ihrem Aussehen. Schnell erzählte man sich Geschichten über finstere Rituale, Grabschändungen, Satanismus und Okkultismus. Die Szene widerlegte diese Vorurteile nicht, denn sie wollte Distanz zur normalen Gesellschaft und da konnte es nicht schaden, wenn die „Normalos“ aus Furcht Abstand hielten. Außerdem waren viele christliche und okkulte Symbole nicht nur herrlich mysteriös, sondern bestens dazu geeignet, ein Statement abzugeben. Im Gegensatz zum Punk oder zu den Hippies wollte die Schwarze Szene jedoch keine politische Veränderung, sondern ihre Ruhe. Es waren weder Politik noch Religion, die diese Szene vereinte, sondern die Musik und das Gefühl der Düsternis. Die Kinder der Nacht wollten unter ihresgleichen sein, ihre Musik hören und sich nicht erklären müssen.


Was in den 80er Jahren von vielen Eltern noch als „Phase“ ihrer Kinder abgetan wurde, ist heute zu einem Lifestyle gewachsen. Wer damals dabei war, ist es oft heute noch. Jede neue Generation brachte musikalische und optische Einflüsse ihrer Zeit mit. Heute gibt es zahlreiche Gothic Festivals, Gothic Partys und eine Szene, die alle Altersklassen und sehr viele Musikrichtungen vereint. Wie alle Subkulturen kämpft auch die Gothic Szene mit der Kommerzialisierung und ihrer Authentizität. Dennoch tritt sie auch heute noch zurückhaltend und defensiv auf und konzentriert sich auf sich selbst.


Wusstest du schon...?

Wusstest du schon...?
Gothics führen Opfer-Rituale durch.
Gothics schänden Friedhöfe.
Gothics schlafen im Sarg.
Gothics lachen nicht.
Gothics sind selbstmordgefährdet.
Gothics sind Satanisten.
Gothics sind rechtsradikal.
Gothics gehören zur SM-Szene.
Gothic Männer sind schwul.
Gothics trinken Blut.

Gothics führen Opfer-Rituale durch


Wer einen Gothic fragt, ob in der Schwarzen Szene auch Katzen oder gar Kinder geopfert werden, erntet meist ein herzhaftes Lachen mit der Gegenfrage: „Wozu sollte das gut sein?“ Die Szene ist keine Glaubensgemeinschaft und muss somit nicht einmal theoretisch irgendwem irgendwas opfern - außer vielleicht ziemlich viel Haarspray für eine Frisur oder ziemlich viel Zeit, um das Makeup ordentlich hinzubekommen.


Gothics schänden Friedhöfe


Dass sich Gothics gerne auf Friedhöfen aufhalten, steht außer Frage. Gruften und Gräber drücken Ruhe, Melancholie, Trauer und Tod aus. Friedhöfe sind der ideale Ort, um Stille zu genießen, sich zu gruseln und sich Geschichte und Geschichten hinzugeben. Gothics lieben Friedhöfe, weil sie in der Vergänglichkeit eine tiefe Schönheit sehen. Es gibt nichts, was Frieden, Stille, Melancholie und Schönheit auf einem Friedhof mehr stört als eine Grabschändung.


Gothics schlafen im Sarg


Wer schon einmal in einem Sarg gelegen hat, der weiß, dass es bequemere Möglichkeiten gibt, die Nacht zu verbringen. Der Sarg ist sicher bei einigen Gothics ein beliebtes Möbelstück, aber doch eher als Truhe oder umgebaut zum Regal. Als Bett eignet sich ein Sarg in der Regel nicht.


Gothics lachen nicht


Bei allem Styling und aller Vorliebe fürs Traurige und Morbide sind Gothics ganz normale Menschen, die Freunde treffen, sich unterhalten, Party machen und natürlich auch lachen. Aber psssst! Das machen sie natürlich nur (un)heimlich.


Gothics sind selbstmordgefährdet


Einige Gothics sind mit Sicherheit auch selbstmordgefährdet, denn die Szene ist genauso vielfältig wie die „normale“ Gesellschaft. Und auch dort gibt es Menschen, die mehr oder weniger mit sich und ihrem Leben zu kämpfen haben. Es ist aber nicht charakteristisch für Gothics, selbstmordgefährdet zu sein. Die oft zitierte Todessehnsucht gibt es so nicht.


Gothics sind Satanisten


Die Schwarze Szene ist keine Glaubensgemeinschaft und deshalb gibt es auch keine Religion, die für sie charakteristisch ist. Es gibt Anhänger aller Glaubensrichtungen, viele Atheisten, Agnostiker und Leute, die sich über eine Religionszugehörigkeit noch nie Gedanken gemacht haben. Wie in der „normalen“ Gesellschaft eben auch. Es stimmt allerdings, dass sich einige Gothics auch mit dem Satanismus und mit Schwarzer Magie auseinandersetzen. Wer Krimis mag, ist aber noch lange kein Mörder und wer die satanische Bibel liest, noch lange kein Teufelsanbeter.


Gothics sind rechtsradikal


Die Schwarze Szene ist keine politische Organisation, so dass hier das Gleiche gilt wie für die Religion. Wie in der „normalen“ Gesellschaft gibt es auch unter Gothics Anhänger aller politischen Richtungen und solche, die sich für Politik überhaupt nicht interessieren. Einigen Splittergruppen und Bands der Schwarzen Szene wird eine Nähe zu rechtsradikalen Parteien nachgesagt, anderen Splittergruppen eine Nähe zu linksradikalen Parteien. Die politische Gesinnung der breiten Masse liegt aber wahrscheinlich - wie so oft - irgendwo in der Mitte.


Gothics gehören zur SM-Szene


Es gibt beim Outfit einige Überschneidungen der Gothic Szene mit der SM-Szene. Gothic Bands wie Umbra et Imago bedienen sich gerne im SM-Bereich, um ihre Bühnen-Performance zu gestalten. Auf Festivals sieht man Gothics, die ihre Partnerinnen oder Partner an der Leine führen, aber charakteristisch für die Schwarze Szene ist das Spiel von „Master and Servant“, wie es Depeche Mode einst sangen, nicht. Die Gothic Szene und die SM-Szene existieren völlig unabhängig voneinander.


Gothic Männer sind schwul


Ja, einige Gothic Männer sind schwul, andere nicht. So wie es in der Gesellschaft eben ist. Meist gründet sich die Annahme, dass Gothic Männer homosexuell sind, auf dem optischen Verwischen der Geschlechter, das in der Szene eine lange Tradition hat. Outfit, Makeup und Styling sind in der Gothic Szene kein Ausdruck von sexuellen Orientierungen. Der Schein kann trügen.


Gothics nehmen Drogen


Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Menschen auf diesem Planeten. Es ist aber nicht charakteristisch für die Szene, Drogen zu nehmen oder übermäßig Alkohol zu trinken. Die einzige typische Droge der Schwarzen Szene ist die Musik.


Gothics trinken Blut


Wer schon einmal einen blutenden Stich im Finger abgeleckt hat, der weiß, dass es weit besser schmeckende rote Getränke gibt als Blut. Rotwein zum Beispiel, oder Kirschsaft. Deshalb greifen auch Gothics lieber zu letzteren Getränken und lassen das Blut, wo es hingehört. Eine Ausnahme bilden diejenigen, die sich wirklich für Vampire halten, aber die finden selbst die Gothics skurril. Wenn man ein für sie Szene charakteristisches Getränk benennen sollte, dann ist das der giftgrüne Absinth.

Todessehnsucht

Gothics kleiden sich düster, mögen Friedhöfe und Totenköpfe, hören traurige Musik und beschäftigen sich mit dem Tod. Viele selbsternannte Experten konstruieren daraus eine Art Todessehnsucht. Selbstmordgedanken oder eine Sehnsucht nach dem Tod sind aber in der Gothic Szene allenfalls Gesprächsthemen, aber keine Handlungsvorlagen. Man genießt eher die Schönheit der Vergänglichkeit und akzeptiert den Tod als Teil des Lebens. Während das Sterben in der Gesellschaft ein Tabu-Thema ist, setzt sich die Szene damit auseinander. Die daraus resultierende Melancholie, Kälte und Dunkelheit zeigen sich auch in den Lyrics und dem Tanzstil der Szene. „Memento Mori“ (Sei Dir der Sterblichkeit bewusst) und Vanitas, die Vergänglichkeit alles Irdischen, sind bekannte und beliebte Motive.


Die Nähe zu Totenköpfen, Friedhöfen und allem Morbiden entspringt natürlich nicht immer einer verkopften Analyse. Das Dunkle, Mystische und Verbotene hat auch einfach so eine Anziehungskraft, der man sich gerne hingibt. In der Szene findet eine Konfrontation mit den Abgründen der Menschheit und mit Gefühlen statt, die allgemein als negativ angesehen werden. Dies alles geschieht natürlich nicht in Form von okkulten Lehrstunden oder blutigen Ritualen, sondern wird durch Musik, Lyrics, Filme, Bücher und Kunst transportiert.


Literatur

Gothics haben die Beschäftigung mit der dunklen Seite dieser Welt nicht erfunden. Schriftsteller haben sich schon immer mit dem Tod, mit Angst und Schrecken beschäftigt und dabei nebenbei einen Pool an Inspirationen für die Gothic Szene geschaffen. Düstere Outfits, Nicknames, Bandnamen, Song-Lyrics - ihr Ursprung liegt sehr oft in Büchern. Als Begründer des literarischen Gothic Genres gilt Horace Walpole mit seinem Roman „Das Schloss von Otranto“. Gothic Fiction spielte mit fantastischen Elementen, bedrohlichen Räumen, Aberglauben und Unterdrückung. Auch die Religionskritik spielte eine Rolle. Geister, Scheintote, und mysteriöse Gestalten tauchten auf.


Im Zuge der schwarzen Romantik gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen Melancholie, Sehnsucht, Wahnsinn und Faszination des Bösen hinzu. Sehr berühmte Geschichten der eng verwandten Horrorliteratur sind Dracula und Frankenstein. Auch die jüngeren Vampir- und Hexenserien von Anne Rice finden in der Gothic Szene begeisterte Leser. Die Horrorliteratur brachte Monster, Werwölfe, Vampire, Hexen, Dämonen und Zombies ins Spiel. Romanserien wie Vampira, Der Hexer, Geister-Schocker oder John Sinclair wurden erdacht und auch Comics des dunklen Genres fanden ihren Weg in die Grufti-Regale.


Filme, Fernsehserien & Radio

Was könnte besser als Stilvorlage dienen als eine Filmfigur? Die Gothic Szene entnimmt ihre Outfits nicht nur der Literatur, sondern auch Kinofilmen, Fernsehserien und sogar Radioserien und Hörspielen. Der wohl bekannteste Horrorstreifen aus der Stummfilmzeit ist Nosferatu, der auf Bram Stokers Dracula basierte. Fernsehserien wie die Addams Family griffen schaurige Motive auf und würzten sie mit Humor. Morticia Addams wurde quasi zum Gothic-Girl-Prototyp. Musiker des frühen Gothic-Genres bedienten sich in ihrer Ästhetik bei den B-Movies, wie beispielsweise den Horrorfilmen der britischen Hammer-Studios.


Zombies, Hexen, Vampire, Werwölfe, Dämonen, Geister, Monster - bis heute gibt es auf der Leinwand immer wieder frischen Nachschub für besonders gruftige Outfit- und Styling-Ideen. Selbst im Trickfilm ist mit Tim Burton ein Verfechter des Morbiden und Bizarren vertreten. Wenn du genau hinschaust, findest du die Figuren aus all diesen Filmen auf eine ganz eigene Art in der Gothic Szene wieder - in Musikvideos, als Motive auf Klamotten, als Vorlage fürs Outfit, als Schmuck, Tattoo oder Poster.


Kunst

Die Gothic Szene trifft sich in erster Linie, um Musik zu hören, Leute zu treffen, Bands zu sehen und zu tanzen. Trotzdem haben die großen Festivals auch ein Rahmenprogramm aus Lesungen, Ausstellungen und sogar Theaterstücken. Die Kunst hat im Laufe der Jahre ihren Platz in der Szene gefunden. Zwei Bereiche stechen besonders heraus: die Fotografie und die Bildhauerei. Selbstverständlich bleiben sich Gothics treu und wählen bei Fotoshootings düstere Kulissen wie Burgen, Friedhöfe, verlassene Orte oder tiefe Wälder.


Die Vergänglichkeit ist ein beliebtes Motiv. Das gilt auch für die Bildhauerei, die beim Friedhofsbesuch im Fokus steht. Engel, Götter, Trauer, Tod, Kreuze, tiefe Gefühle: Die Kunst der Bildhauerei wird in Form von alten Grabsteinen und Familiengruften bewundert. Und weil man die nicht mitnehmen kann, werden sie ebenfalls kurzerhand fotografiert. Auf den Festivals gibt es dann entsprechende Fotoausstellungen. Kunsthandwerk darf auch nicht fehlen. Vor allem Schmuck, Mode, Accessoires und Interieur finden sich an den Ständen der dunklen Märkte, hergestellt in Handarbeit speziell fürs düstere Publikum.


Religion

Auch, wenn es keine Religion gibt, die charakteristisch für die Szene ist, sind Glauben und Aberglauben beliebte Themen. Der Okkultismus jagt einem mit Übersinnlichem einen Schauer über den Rücken, die Wicca-Religion lockt mit mystischer Naturverbundenheit. Der Satanismus rückt das Böse in den Mittelpunkt und das Heidentum lässt die Antike und das Mittelalter aufleben. Für Gothics ist jede Religion interessant und voller Geheimnisse. Meist beschäftigt man sich aber aus einer respektvollen Distanz mit den Inhalten und urteilt nur selten.


Wer in der Gothic Szene Tarotkarten legt, ist nicht zwangsläufig der Meinung, tatsächlich in die Zukunft zu blicken. Wer sich mit schwarzer oder weißer Magie beschäftigt, glaubt nicht unbedingt, eine Hexe zu sein. Genau wie in der Gothic-Literatur und den Gothic-Filmen haftet auch der Beschäftigung mit Spiritualität, Mystik und Religion in der Schwarzen Szene etwas Fantastisches und Inszeniertes an. Das Ambiente ist es, was man liebt. Dennoch ist echte Religionszugehörigkeit natürlich nicht ausgeschlossen. Auf großen Festivals, wie dem Wave Gotik Treffen in Leipzig, gibt es inzwischen sogar christliche Gothic-Gottesdienste.


Symbole

Umgedrehte Kreuze, Pentagramme, die Teufelszahl 666. Was hat das alles in der Gothic-Szene zu suchen, wenn es doch nicht zu religiösen Ansichten gehört? Ganz einfach: Viele Symbole sind schlicht Ausdruck einer Gedankenwelt oder Statements. Das umgedrehte Kreuz ist beispielsweise ein stiller Protest gegen die Institution Kirche. Schon in den Anfängen der Gothic Literatur war Religionskritik ein Thema. Die Gothics nahmen die Impulse auf und verwandelten Priester- und Nonnengewänder in düstere Outfits. Andere Symbole wie das Pentagramm oder das Ankh stammen ebenfalls aus den Bereichen Glauben und Aberglauben. Hier geht es nicht immer um den Inhalt und die vermeintliche Wirkung als Glücksbringer oder Schutzsymbol, sondern schlicht um die düstere Ästhetik und die Geschichte dahinter. Wer mag, kann seine Symbole natürlich mit echter Bedeutung belegen. Alles ist möglich.


Politik

Immer wieder werden Stimmen laut, die der Gothic Szene eine rechtsextreme Gesinnung vorwerfen. Und es gibt tatsächlich Entwicklungen, die auch von der Szene selbst kritisch beäugt werden. Zweifelhafte Uniformen und Song-Lyrics tauchen bei Konzerten einiger Splittergruppen auf, Symbole mit Nazi-Charakter werden wiederbelebt. Auch die Musik des Genres „Neue Deutsche Härte“ rückte mit Bands wie Rammstein oft in die Kritik, genau wie der Neofolk. Neu ist das Thema nicht. Schon die Punks und die Vertreter des Post-Punk spielten mit Nazi-Symbolen.


Was ist nur Provokation und was ist echt? Man weiß es nicht immer genau. Da die Gothic Szene aber keine homogene Gruppe ist, kann man ihr auch keine einheitliche politische Gesinnung zuschreiben. Fakt ist: Wenn Gothics sich treffen, reden sie eher selten bis gar nicht über Politik. Ausnahmen bestätigen die Regel.


Typen

Genauso vielfältig wie die Musikrichtungen sind auch die Gothic-Typen, die sich im Laufe der Jahrzehnte herauskristallisiert haben. Die klassischen Waver tragen toupiertes Haar, Pumphose, Hemd und Pikes. Sie sind zwar auffällig geschminkt, weißen sich aber nicht die Haut und wählen eher roten als schwarzen Lippenstift. Die klassischen Gruftis hingegen hüllen sich in tiefschwarze Gewänder, tragen weißes Makeup, schwarzen Lippenstift und rasieren sich die Augenbrauen, um sie diabolisch neu zu ziehen. Bei den Schwarzromantikern geht nichts ohne Rüschen, Brokat und Seide. Die Mittelalter-Fraktion mag es natürlich mit Leinen und Gewand, während die Cybers die Apokalypse mit Knicklichtern und Plastikzöpfen feiern.


Als besonders kreativ gelten die Steampunks, die ihre Kleidung und ihre Utensilien abenteuerlichen Zeitreisen und der industriellen Revolution mit Dampf- und Flugmaschinen widmen. Nebenher entstehen immer wieder neue Varianten, die teils liebevoll und teils ironisch mit Trend-Namen versehen werden: Pastel Goth, Fetish Goth, Fairy Goth, Hippie Goth oder Health Goth sind nur einige Beispiele. Wie bei der Musik, sind auch bei den Gothic Typen die Übergänge fließend. Die Schwarze Szene wird zwar immer unter dem Begriff „Gothic Szene“ zusammengefasst, die Splittergruppen innerhalb der Szene haben aber wenig bis gar nichts miteinander zu tun. Viele von ihnen identifizieren sich nicht einmal mit dem Begriff „Gothic“.


Lifestyle

Wenn man Szenegänger fragt, was „Gothic“ ist, dann sagen fast alle: Das ist ein Lebensstil. Doch was soll das heißen? Muss man Totengräber, Pathologe oder Friedhofsgärtner werden, um wirklich ein Gothic zu sein? True oder untrue? Echt oder nur verkleidet? Das ist ein großes Thema in der Szene, denn man möchte sich von der „normalen“ Gesellschaft mit ihren Tabus und befremdlichen Verhaltensweisen abgrenzen. Die Selbstinszenierung ist Ausdruck der Gedankenwelt. Schaulustige, die sich mit schwarzen Klamotten tarnen und sich völlig szenefremd verhalten, sind nicht gerne gesehen.


Früher war die Frage nach der Szenezugehörigkeit einfach zu klären. Man erkannte die Jugendlichen an ihren Klamotten, ihrem Makeup und ihrer Frisur. Doch die Szene ist älter geworden. Ihre Mitglieder mussten sich irgendwann den Anforderungen des Alltags stellen. Mit weißer Schminke und Grufti-Frisur findet man nur schwer einen Job. Selbstdarstellung ist mit zunehmendem Alter nicht mehr uneingeschränkt möglich und bleibt für Gothics doch immer ein Sehnsuchtsthema. Ein echter Gothic atmet auf, wenn er in seine Kleidung schlüpfen, seine Frisur und seinen Schmuck tragen kann.


Musik

Wenn es eine Konstante quer durch alle Untergruppierungen der Schwarzen Szene gibt, dann ist es die Liebe zur Musik. Seit den 80er Jahren haben sich viele Musikrichtungen aus dem ursprünglichen Post-Punk, Industrial und Synth Pop entwickelt. Es ist zwar nicht immer einfach, die Bands der Gothic Szene genau einem Genre zuzurechnen, aber es gibt grobe Schubladen, an denen man sich orientieren kann. Es gibt inzwischen auch einige Musikstile auf dem Gothic-Musikmarkt die gar nichts mehr mit den musikalischen Ursprüngen zu tun haben. Andere Genres haben sich so verändert, dass man sie kaum wiedererkennt.


Orte

Wo trifft sich die Gothic Szene? Auf dem Friedhof? Einige „Kinder der Nacht“ mögen sich dort herumtreiben. Allerdings eher, um Fotos zu machen oder in der angenehmen Stille ein Buch zu lesen. Die Gothic Szene entspringt der Musik. Und noch heute sind es Festivals und Konzerte, bei denen Gruftis und Batcaver, Schwarzromatiker und Waver zusammenkommen. Auch Partys in „schwarzen“ Clubs gibt es in einigen Städten. Jenseits der Musik sind es Burgen, Schlösser, mystische Orte oder schaurige Ausflugsziele, die den Gothic anziehen. Allerdings weniger als Treffpunkt, sondern eher als Ausflugsziel. Die meisten Gothics treffen sich – wie der Rest der Gesellschaft auch – im Internet, um sich auszutauschen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten zu planen.